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Herausgegeben von den Berufsverbänden für Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik, Nervenheilkunde und Neurologie aus Deutschland.

Psychosoziale Therapien sind wichtiges Element in der Behandlung von schweren psychischen Erkrankungen

Menschen, die über eine längere Zeit psychisch erkrankt sind, sind meist neben psychischen Beschwerden auch mit erheblichen Einschnitten in ihrem Lebensalltag konfrontiert. So können beispielsweise psychotische Erkrankungen, Depressionen, schwere Angst- oder Zwangsstörungen und ausgeprägte Persönlichkeitsstörungen gravierende Auswirkungen auf die Familie, die Ausbildung oder den Beruf haben und die Teilhabe am sozialen Leben beeinträchtigen. Hier setzen so genannte psychosoziale Interventionen an, um Betroffenen und auch Angehörigen einen besseren Umgang mit den krankheitsbedingten Einschränkungen im Lebensalltag zu ermöglichen.

„Psychosoziale Therapien zielen darauf ab, die persönlichen Möglichkeiten der Betroffenen, in ihrer eigenen Umgebung zu leben und am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben, zu verbessern. Dies wird entweder durch eine günstige Gestaltung der Umgebungsbedingungen erreicht, oder dadurch, dass soziale Kompetenzen, also Fertigkeiten im Umgang mit sich selbst und Anderen in den verschiedenen Lebensbereichen erweitert werden“, berichtet Prof. Dr. med. Steffi Riedel-Heller von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN). „Das heißt, psychosoziale Therapien zielen nicht allein auf eine Symptomverbesserung ab, wie das beispielsweise durch eine medikamentöse Therapie beabsichtigt ist, sondern vielmehr darauf, dass die Betroffenen darin unterstützt und gestärkt werden, sich in ihrem Leben und der Umwelt wieder eigenständiger, sicherer und zielgerichteter zu bewegen und damit mehr Lebensqualität erlangen.“ Einer der Grundsätze dabei ist die Gemeindenähe zu bevorzugen. Dies bedeutet, dass Behandlungs- und Versorgungsangebote dort angeboten werden sollen, wo die Menschen mit ihren Familien und Angehörigen leben, um zu ermöglichen, dass die Betroffenen nicht aus ihrem Lebensumfeld herausgerissen werden.

Chancen wirksamer Therapien - z.B. Akutbehandlung zu Hause - mehr nutzen

Wenngleich ein enormer Wissenszuwachs im Feld der psychosozialen Behandlungsmöglichkeiten zu beobachten ist, partizipieren schwer psychisch Kranke nicht oder nur unzureichend von den gegenwärtigen Erkenntnissen. „Der Zugang zu evidenzbasierten ambulanten psychosozialen Behandlungsformen, wie zum Beispiel der Akutbehandlung zu Hause (Home-Treatment), der familienbezogenen Psychoedukation oder der unterstützen Beschäftigung (supported employment), wird durch verschiedene Barrieren erschwert und hängt bis heute von mehr oder weniger zufälligen Konstellationen von Laien, Politikern, Betroffenen, psychiatrischen Experten und Aktivitäten von Kommunen, freien Trägern oder anderen Akteuren ab“, bedauert die Expertin der DGPPN. „Doch gerade die psychosozialen Therapien sind neben den somatischen Behandlungen (z.B. Psychopharmaka) und den psychotherapeutischen Interventionen eine wichtige und zentrale Säule in der Behandlung schwer psychisch Kranker.“

Leitlinie soll Versorgungssituation verbessern

Deshalb hat die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde die evidenz- und konsensbasierte S3-Leitlinie «Psychosoziale Therapien bei schweren psychischen Erkrankungen» auf den Weg gebracht. Diese Leitlinie legt erstmals eine Systematik der sehr heterogenen psychosozialen Interventionen vor und verortet diese im Rahmen eines Matrixkapitels im deutschen Versorgungssystem. Die Leitlinie soll auf der Basis wissenschaftlich fundierter Aussagen und Empfehlungen dabei unterstützen, die Versorgungspraxis schwer psychisch Kranker zu verbessern.

Psychosoziale Interventionen setzen auf verschiedenen Ebenen an

Psychosoziale Interventionen lassen sich verschiedenen Ebenen zuordnen. Dabei werden sogenannte einzelfallbezogene Interventionen beschrieben, wie z.B. die Psychoedukation, das soziale Kompetenztraining, die künstlerischen Therapien und die Sport- und Bewegungstherapie. „Psychoedukation“, so die Expertin, „zielt darauf ab, Patienten und Angehörige über die Krankheit und mögliche Behandlungen zu informieren, das Krankheitsverständnis und den selbstverantwortlichen Umgang mit der Erkrankung zu stärken und bei der Krankheitsbewältigung zu unterstützen. Dabei orientieren sich Struktur und Inhalte von Psychoedukation sehr stark an den eigenen Erfahrungen der Betroffenen.“ Diese Interventionen können an verschiedenen Orten der Behandlung (z.B. ambulanter Bereich, Tagesklinik, stationäre Behandlung) und in der Regel durch einzelne Behandler durchgeführt werden. Einen weiteren Bereich stellen sogenannte Systeminterventionen dar, bei denen es darum geht, Versorgungsangebote in einer bestimmten Art und Weise zu organisieren und bereitzustellen. Das sind meist komplexe Interventionen wie z.B. multiprofessionelle gemeindepsychiatrische Behandlungsverfahren, wie die Akutbehandlung im häuslichen Umfeld, die eine Alternative zur stationären Behandlung darstellt. Dazu zählen auch Ansätze der Arbeitsrehabilitation, die Betroffene darin unterstützt, die eigene Arbeits- und Beschäftigungssituation zu verbessern. „Zahlreiche wissenschaftliche Studien haben dabei die Wirksamkeit der sogenannten unterstützten Beschäftigung herausgestellt. Die Betroffenen werden dabei bereits in der ersten Phase der Rehabilitation auf dem ersten Arbeitsmarkt platziert und dort durch spezialisierte Dienste professionell begleitet und unterstützt“, erklärt Prof. Dr. med. Steffi Riedel-Heller. Ziel ist eine andauernde Beschäftigung in einem regulären Arbeitsverhältnis.

Psychosoziale Therapien sind einen wichtige Säule der Behandlung schwer psychisch kranker Menschen. Wir stehen in einer besonderen Verantwortung, dass gerade diese Menschen am Wissensfortschritt im Bereich der psychosozialen Therapien partizipieren.

Quelle & Link:
S3-Leitlinie Psychosoziale Therapien bei schweren psychischen Erkrankungen:

www.dgppn.de/dgppn/struktur/referate/versorgung0/s3-leitlinie-psychosoziale-therapien-bei-schweren-psychischen-erkrankungen.html

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