„Zu dissoziativen Zuständen kann es beispielsweise in Bedrohungssituationen kommen. Als Folge können Symptome wie etwa Erinnerungslücken oder Entfremdungsgefühle in Bezug auf die eigene Person oder die Umgebung auftreten“, berichtet Dr. Christa Roth-Sackenheim, vom Berufsverband Deutscher Psychiater (BVDP) mit Sitz in Krefeld. „Diese Sofort-Reaktion auf sehr belastende oder traumatische Erlebnisse kann als Bewältigungsprozess angesehen werden, der es Betroffenen ermöglicht, extreme Situationen erträglich zu machen, das Erleben nicht mit der eigenen Person in Verbindung zu bringen oder automatisiert zu reagieren. Die Situation wird so wahrgenommen, als passiere das gerade jemand anderem.“ Im weiteren Verlauf nimmt die Stressreaktion ab und das Gehirn versucht, das Erlebte psychisch zu verarbeiten. Gelingt dies nicht oder kommt es zu weiteren Extrembelastungen, können sich chronische dissoziative Symptome und Störungen entwickeln. Die Dissoziation tritt dann nicht mehr nur ausschließlich bei extremen psychosozialen Belastungen auf sondern auch unabhängig davon.
Verschiedene Formen dissoziativer Störungen
Dissoziative Störungen können isoliert vorkommen sowie sich auch im Rahmen anderer psychischer Störungen wie Angsterkrankungen, Depressionen, schizophrenen Störungen oder Persönlichkeitsstörungen entwickeln. Es werden verschiedene Formen von dissoziativen Störungen unterschieden, die eine abweichende Symptomatik haben. „Unter der sogenannten «dissoziativen Amnesie» versteht man einen vollständigen oder teilweisen Gedächtnisverlust, der meist im Zusammenhang mit emotional belastenden Ereignissen auftritt. Oft erstreckt sich die Erinnerungslücke auf einen begrenzten Zeitraum nach dem Trauma“, erklärt die Psychiaterin und Psychotherapeutin aus Andernach. „Seltener können belastende Ereignisse auch eine «dissoziative Fugue» auslösen, bei der Betroffene plötzlich ihre Umgebung - wie den Arbeitsplatz oder das Zuhause - verlassen und sich später nicht mehr daran erinnern können. Im Zustand des «dissoziativen Stupor» kommt es zur Unfähigkeit, bestimmte Körperteile zu aktivieren. Die Betroffenen bewegen sich kaum oder gar nicht mehr. Sie sprechen fast nicht, sind völlig inaktiv und reagieren nicht mehr auf ihre Umwelt.“ Bei der oft fälschlicherweise als Schizophrenie bezeichneten «dissoziativen Identitätsstörung» kommt es zum Auftreten zweier oder mehrerer Identitäten.
Als Kriterium für eine dissoziative Störung gilt, dass die Symptome häufig auftreten und/oder lange anhalten und von den Betroffenen nicht willentlich kontrolliert werden können. Wenn Menschen dadurch in ihrem sozialen und beruflichen Alltag eingeschränkt werden, liegt möglicherweise eine behandlungsbedürftige Störung vor. Sie sollten sich an einen Psychiater und Psychotherapeuten wenden. „Bei der Behandlung von dissoziativen Störungen haben sich psychotherapeutische Verfahren als wirksam erwiesen. Daneben können auch unterschiedliche Medikamente eingesetzt werden. Im Zentrum der Therapie steht, die Kontrolle über diese Symptome zu erlangen und zu identifizieren, was die Ursache für die Dissoziation ist. Betroffene können durch verschiedene Techniken lernen, ihre Symptomatik zu kontrollieren. Beispielsweise können einfache sensorische Reize hilfreich sein, die Kontrolle wiederzuerlangen, wie etwa durch das Drücken auf einen bestimmten Punkt zwischen Daumen und Zeigefinger, in dem Nervenenden zusammenlaufen“, ergänzt Dr. Roth-Sackenheim. Bei ausgeprägten Störungen, kann eine stationäre Psychotherapie notwendig sein.
Anfälliger für dissoziative Störungen sind Menschen, die ein hohes emotionales Erregungsniveau haben und eine erhöhte Suggestibilität, also die Übernahme induzierter Gedanken, Gefühle, Wahrnehmungen oder Vorstellungen auf Kosten des Realitätsbezugs. Risikofaktoren sind traumatische Erfahrungen wie beispielsweise sexueller Missbrauch, Gewalterfahrungen oder Vernachlässigung. Betroffen sind überwiegend weibliche Personen. Der Erkrankungsbeginn liegt in der Regel vor dem 30. Lebensjahr.
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